Kleine plattdeutsche Geschichten und Gedichte (in ostfriesischem Plattdeutsch)

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Bei Nacht und Sturm am Deich  (Mit wörtlicher Übersetzung der plattdeutschen Geschichte ins Hochdeutsche, siehe rechts)

Es ist nun ja schon ein paar Jahre her, wie wir mal wieder so einen richtigen Sturm im Norder Land hatten. Einen Tag vorher war das Unwetter schon im Radio angekündigt worden und dann fing es mittags, mit einem Mal an zu wehen. Zuerst noch etwas stoßweise und nicht ganz so heftig, dass du dich daran gewöhnen konntest, aber dann ging es bald so richtig los.
Gehe mal eben ums Haus herum“, sagte meine Mutter, „ob dort noch irgendwo etwas festgebunden werden muss.“ Ich hielt das nicht für so nötig aber ich machte mich doch ans Werk. Hier musste noch die Tür vom Hinterhaus abgeriegelt werden, die sonst immer offen stand, die Kaninchen hatte ich noch zu versorgen und dann musste der Sack vor dem Kaninchenstall heruntergerollt werden, dass sie drinnen schön windgeschützt sitzen konnten. Auch die Tür von dem Hühnerstall musste ich noch fest verrammeln und den neuen, jungen Apfelbaum band ich an dem Pfahl noch einmal besonders fest.
So, das war das, „nun kann der Sturm kommen“, dachte ich und da kam auch schon eine Böe, dass ich meine Mütze gerade noch greifen konnte, sonst wäre sie weg gewesen.
Ich wäre ja gerne jetzt, bei Tage, schon einmal nach Norddeich gefahren, dass ich einmal zu sehen bekomme, wie so eine richtige Sturmflut aussieht, aber es war ja noch kein Hochwasser, erst abends, so etwa um zehn Uhr, war das so weit. Und nachmittags hatte ich ja auch noch genug in der Werkstatt zu tun, aber gleich nach Feierabend fuhr ich mit meinem kleinen Auto los.
Es war erst sieben Uhr, aber es war bereits so dunkel, dass ich das Licht anschalten musste. In der Stadt ging das ja noch, aber als ich, auf dem Wege nach Norddeich, die letzten Häuser hinter mir hatte, bekam ich das Gefühl, als wenn mich jemand von der Seite anschieben würde und ich flog so etwa einen halben Meter auf die andere Straßenseite zu. „Teufel nochmal“, dachte ich, „du musst deinen Lenker noch etwas fester anfassen, ehe es zu spät ist.“
Halbwegs Norddeichs bog ich dann rechts in die Ostermarscher Landstraße ein. Nun mehr bekam ich den Wind von hinten und fast am Sender Osterloog, ging es dann wieder nach links in Richtung Deich. Auch hier konnte ich es gut spüren, was für eine gewaltige Macht so ein Sturm hat. Ich musste aufpassen, dass ich mein kleines Auto auf der schmalen Straße hielt. Sehen konnte ich auch nicht mehr viel, der Regen schlug zeitweise so stark an meine Windschutzscheibe, dass die Wischer es kaum mehr schaffen konnten.
Meinen Wagen stellte ich unten am Deich, an dem kleinen Bauernhaus von Jan Köppen, ab, die Joppe dicht geknöpft und die Mütze über die Ohren und dann heraus aus der Wärme. Ich wollte das ja so erleben, also musste ich es auch durchstehen.
Draußen hatte ich zu tun, dass ich stehen blieb. Jan Köppen, der Bauer, hatte mich gleich gesehen und er fragte freundlich: „Na, wo willst Du denn noch hin, bei dem Unwetter?“ „Ich will nur mal eben über den Deich schauen“, rief ich.

Dann stieg ich den Deich hinauf, oben jedoch, hatte mich der Sturm gleich voll zu fassen und ich hatte Mühe, die letzten Stufen noch hoch zu kommen. Jedoch was ich jetzt zu sehen bekam, überstieg alle meine Erwartungen bei Weitem. Die Wellen waren höher als ich und das aufgewühlte Wasser nippte schon fast an der oberen Kante des Deiches, dort fehlte nur noch etwa ein Meter. Wunderbar, die Brecher, die Gewalt und das Gebrüll der Natur. Zu gleicher Zeit war das übermütig, gewaltig und auch gruselig.

Diese Bilder hatte ich so einigen meiner Freunde auch einmal gegönnt.

Ich musste mir große Mühe geben, mich überhaupt auf den Beinen zu halten. Dabei hatten wir ja noch lange kein Hochwasser. Was sollte das noch werden?! Es war inzwischen stockfinstere Nacht geworden, aber meine Augen hatten sich an die Dunkelheit gewöhnt, und wenn ich auch nicht weit gucken konnte, so konnte ich immer noch alles sehen, was ich so gerne einmal erleben wollte: Die gewaltige Macht der wilden See!

Eine ganze Zeit lang stand ich staunend dort oben, allein in dem tosenden, brüllenden Sturm und konnte mich nicht sattsehen, sattfühlen und satthören. Hin und wieder konnte ich auch den Mond mal eben durch die Wolken blinzeln sehen.

Aber was war das, kam dort hinten nicht jemand angelaufen? „Der ist sicher genau so unvernünftig wie ich“, dachte ich. „Was will der bei dem Wetter hier draußen auf dem Deich?“ Ich ging ihm ein paar Schritte entgegen. Aber dann sah ich, das war ja kein Mann, das war eine Frau. Nein, das war sogar eine ganz junge Frau, konnte ich dann erkennen. Ich rief ihr zu: „Na, auch mal die Gewalt des Sturmes erleben?“ „Ja“, rief sie, „das ist so ein tolles Erlebnis, ich werde es wohl niemals mehr vergessen. --- Aber sie können ruhig platt mit mir sprechen, ich bin aus Hamburg und weiß, wie das geht. Mit dem Sprechen habe ich noch so meine Probleme, aber verstehen kann ich fast alles.“
Dann gingen wir ein Stück zusammen auf dem Deich entlang, immer gegen den Wind. Ab und zu blieben wir immer mal wieder stehen, um uns das Spiel des Sturmes mit den Wellen anzusehen und das Mädchen an meiner Hand war genau so glücklich wie ich über die Kraft und die Gewalt der Natur. Sie hieß Anne und ich konnte erkennen, auch wenn sie dick eingepackt war, dass sie ein niedliches Gesichtchen hatte und der Wind konnte mir zeigen, dass auch „all das andere“ ganz gut „in Ordnung“ war. Anne war fast so alt wie ich (zweiundzwanzig) und sie erzählte mir, dass ihre Eltern ein Ferienhäuschen in Norddeich hatten und dass sie dort ganz alleine mal für zwei Wochen ausspannen wollte, und dass sie froh wäre, dass das mit dem Sturm einmal so gut passen würde. „Genau am ersten Tag meines Urlaubs und das erste Mal in meinem Leben habe ich das Glück, mal so ein Naturschauspiel zu erleben“, sagte sie und ich konnte die Freude in ihren Augen deutlich lesen.

Es wurde Hochwasser und auch noch mindestens eine Stunde später waren wir beide bei Sturm und Wetter noch immer auf dem Deich unterwegs. Gut, dass wir so warm und wasserdicht angezogen waren, mit langen Stiefeln und dicken Pullovern. Wir hatten so viel zu erzählen und anzusehen, dass wir gar nicht mitbekamen, wie die Zeit verging.
Ich brachte sie später dann noch nach Hause in ihr Ferienhäuschen, und als wir uns wieder aufgewärmt hatten und ich ihr Haar genügend durcheinandergebracht hatte, fuhr sie mich mit ihrem Auto wieder zu meinem kleinen Fahrzeug unter dem Deich zurück.
Der Wind war inzwischen schon viel schwächer geworden, aber der Sturm in meinen Herzen hatte noch zugelegt.
Wie über glücklich war ich über den schönen Verlauf dieser herrlichen Nacht!

Aber als ich gerade wieder in mein Auto einsteigen wollte, kam Jan Köppen ganz aufgeregt noch einmal angelaufen. „Wo bist Du denn abgeblieben? Wir haben uns schon Sorgen gemacht, meine Frau und ich“, rief er, und als ich ihm gerade erzählen wollte, wie gut es mir in dem Sturm gefallen hatte, fiel er mir ins Wort: „Nun sieh man schnell zu, dass du trockene Kleider an bekommst. Wärst du nur zu Hause geblieben, bei dem Unwetter und bei dunkler Nacht!“

Aber ich hatte eine ganz und gar andere Meinung und sagte nur noch: „Ja, ja“ und „tschüs“ und dann beeilte ich mich, dass ich nach Hause kam.


       Johannes de Vries

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Anmerkung:
Die Geschichte ist frei erfunden. Jede Ähnlichkeit, auch der Namen, mit lebenden Personen wäre rein zufällig und ist nicht beabsichtigt.

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Lees un schriev ok Platt, dat lehrst du glatt!